Hilfe bei Essstörungen (Behandlung und Therapie)
der stationäre Weg
Wenn Sie für sich (oder ihr Kind) den Entschluss getroffen haben, Ihr Leben durch eine stationäre Therapie zu verändern und die Essstörung hinter sich zu lassen, dann erhalten Sie auf dieser Seite alle notwendigen Informationen – Schritt für Schritt erläutert – die dafür notwendig sind.
der ambulante Weg
Je nach Schweregrad und Intensität und Häufigkeit der Symptome ist manchmal eine stationäre Behandlung nicht zwingend notwendig. Die S3- Behandlungsleitlinien empfehlen die Behandlung von Bulimia nervosa z.Bsp. zunächst ambulant durchzuführen.
Eine Überwindung der Erkrankung „alleine“ ist oft Teil des gestörten Denkens.
Wer außer den Betroffenen selbst, sollte die Erkrankung denn sonst überwinden?? Viel besser ist es doch, die Erkrankung „allein – aber mit Unterstützung“ zu bekämpfen, oder?
Auf dieser Seite findet jeder erste konkrete Hinweise und Maßnahmen im Kampf gegen die Essstörungserkrankung, vor allem für diejenigen, die noch nicht bereit sein sollten, eine professionelle Behandlung – oder Einmischung von außen – zu tolerieren.
Solltest du bereits schon abwägen, ob eine stationäre Behandlung im Vergleich zu einer ambulanten Psychotherapie sinnvoll sein könnte, findet ihr hier alles was ihr darüber wissen müsst und konkrete Vorschläge, was ihr tun müsstet, um die entsprechenden Maßnahmen in die Wege zu leiten.
Die Überwindung einer Essstörung kann Monate, oft eher Jahre dauern. Therapieabbrüche, Behandlungsunterbrechungen und Rückfälle sind eher die Regel als die Ausnahme. Das Wiedererlernen normaler Essgewohnheiten und Bewältigungsfähigkeiten kann eine lange Zeit in Anspruch nehmen und erfordert oft viel Unterstützung von Fachleuten, Freund:innen und Familie. Dabei gilt: solange du etwas tust, gibt es eine reale Chance!
Alles ist besser als abzuwarten.
Menschen, die an einer Essstörung (oder zumindest teilweise an solchen Symptomen) leiden, sollten sich zwingend mit den medizinischen und gesundheitlichen Folgen dieser Erkrankung befassen und daran arbeiten, ihre Symptomatik zu reduzieren – besser noch zu beseitigen – und gleichzeitig auftretende Probleme wie Depressionen, Zwänge, Angstzustände oder Traumata anzugehen.
Die Symptomabstinenz und/oder Gewichtszunahme ist dabei ein zentrales Ziel, jedoch nur einer von vielen Behandlungsbausteinen.
Wichtig ist vor allem immer die Entwicklung einer langfristig tragfähigen Zukunftsperspektive – frei von Essstörungserkrankung!
Und für diejenigen unter euch, die eine schnelle Soforthilfe (in Form direkter Online-Beratung) wünschen:
Hier geht es zur Selbsteinschätzung
Falls du schnell und präzise eine erste Einschätzung – ganz kostenlos und nur mit wenigen Klicks – wünscht, findest du hier ein perfektes Tool dafür (Link unten). Aber Achtung – eine Selbsteinschätzung ersetzt keine fachkundige Diagnose sondern stellt lediglich eine Grundlage für die Konsultation einer fachkundigen Person dar – das kann dein Arzt/deine Ärztin oder dein:e psychologische:r Psychotherapeut:in sein. Du kannst das Ergebnis am Ende speichern und ausdrucken, was das Besprechen der weiteren notwendigen Maßnahmen dann hoffentlich erleichtert!
Überwindung der Essstörung – Tipps vom Profi:
Gratis aber hoffentlich nicht für umsonst findest du hier einige erste und hoffentlich hilfreiche Informationen und Vorschläge für die Überwindung (d)einer Essstörungserkrankung. Diese Tipps richten sich auch an diejenigen, die gerade einen stationären Aufenthalt hinter sich haben.
Viel Spaß beim Durchlesen!
Ein wesentliches – und leider von Betroffenen und Behandler:innen nach wie vor völlig unterschätztes – Thema ist die Gewichtsrestitution. Nur weil du vielleicht gerade so dein unteres Normalgewicht erreicht hast, bist du möglicherweise noch lange nicht am Ende deiner Reise angekommen.
Auch wenn es dir bereits total schwer gefallen ist, es bis hier hin zu schaffen, wird es möglicherweise noch nicht reichen. Denn auch BMI 18,5kg/m² kann individuell gesehen, noch immer Untergewicht bedeuten (Set-Point-Theorie). Entscheidend ist neben der Periode auch der Hormonhaushalt und das sogenannte prämorbide Gewicht (also das Gewicht vor der Erkrankung). Dann kommen weitere Faktoren hinzu (Leistungssport, Metabolismus, Wachstum, Alter usw.), die eine weitere Gewichtszunahme in den Normalgewichtsbereich hinein, erforderlich machen können.
Essstörung überwinden setzt die Gewichtsnormalisierung voraus – das solltest du niemals vergessen! Insbesondere die Körperbildstörung kann (muss aber nicht) signifikant von deinem Mangelzustand beeinflusst sein. Auch intuitives Essen hängt davon ab, dass du einen Gewichtszustand erreichst, der deiner individuellen/persönlichen Normalität entspricht.
Prinzipiell lässt sich vereinfacht sagen: sobald du künstlich an einem bestimmten Gewicht festhältst, lebst du noch aktiv deine Essstörungserkrankung aus (schaut man hier genauer hin, bestimmen also vor allem essgestörte Ängste noch im Wesentlichen das Essverhalten).
Das ist natürlich alles okay – sollte aber unbedingt zentraler und vordergründiger Teil der Therapie sein.
Merke: Individuelles Untergewicht (auch im Normalgewichtsbereich) provoziert und begünstigt essgestörtes Denken!!
Gerade nach stationären Aufenthalten, die gut gelaufen sind, fühlen sich Betroffene voller Energie und Euphorie und wollen – richtigerweise und nachvollziehbar – jetzt intensiv (wieder) am Leben teilhaben.
Umso wichtiger ist es, alle geplanten Aktivitäten gut mit dem Essplan abzustimmen und weiterhin kritisch ins Verhältnis zu setzen. Demnach bietet sich – trotz aller Euphorie – immer ein schrittweises Herantasten an.
Achte(t) im Verlauf auf Verhaltensänderungen, die auf ein Rezidiv (Rückfall) hinweisen:
- insbesondere Veränderungen der Tagesabläufe (später von der Schule oder Arbeit nach Hause kommen)
- das Verschieben von Mahlzeiten
- vermehrtes Diskutieren/Rechtfertigen
- wieder einkehrende Verschlossenheit gegenüber Austausch über Gewicht und Essen
- mehr Leistungsorientierung, mehr Bewegung / Sport (quasi mehr Druck!)
- Stimmungsschwankungen
- sozialer Rückzug
Aber Achtung: nicht alles davon muss ein Rezidiv der Essstörung bedeuten, sprecht das immer mit den Betroffenen direkt ab oder bezieht euer therapeutisches Netzwerk aktiv mit ein!
Entscheidend für die langfristige und womöglich anhaltende Überwindung der Essstörungserkrankung ist die aktive Arbeit an den aufrechterhaltenden Faktoren:
- essgestörte Kognitionen wie Überfokussierung auf Leistung, Perfektionismus
- negativ besetzte/bewertete Emotionen wie Angst, Scham, Schuld, Ärger, Trauer
- spezifische Überzeugungen („ich bin dumm“, „ich bin nicht gut genug“)
- soziale Kompetenzen
- Persönlichkeitsentwicklung (Selbstbehauptung, Durchsetzungsfähigkeit)
- Traumabewältigung
- Auflösung sozialer/ familiärer Konflikte bzw. Erlernen eines Umgangs damit
- schulische/ berufliche Perspektive gestalten
- ein tragfähiges soziales Netzwerk aufbauen (Ansprechpartner:innen!)
- Bindungs- und Beziehungsfähigkeit
Ein aktives Support-System spielt oft eine Schlüsselrolle bei der Wiederherstellung. Eltern können dazu beitragen, ihre Kinder zu ermutigen, in der Therapie zu bleiben, regelmäßige Mahlzeiten zu sich zu nehmen und neue Bewältigungsfähigkeiten zu nutzen.
Partner:innen und Freund:innen können bei Schwierigkeiten Gesellschaft und/oder mentale Unterstützung leisten und vor allem dabei helfen, ein Leben außerhalb der Essstörung aufzubauen.
Wichtig ist dabei, den Menschen hinter der Erkrankung (wieder) sehen zu lernen. Niemand ist absichtlich psychisch erkrankt. Dennoch sind gerade die engsten Unterstützer:innen im wortwörtlichen Kampf gegen die Erkrankung (und damit gegen die Betroffenen) meist ausgebrannt, was möglicherweise scheinbar unüberbrückbare Differenzen geschaffen hat.
Hier hilft reden!
Auch wenn du mit Hilfe von Therapie eine reale Veränderung durchlaufen hast, gilt das nicht automatisch für dein Umfeld – es gilt also nicht automatisch, dass deine engsten Vertrauten deinen Prozess miterlebt haben bzw. angemessen nachvollziehen können. Es ist auch deine Aufgabe, sie ins Bild zu setzen.
Sprich über deine Entwicklung, deine neuen Denkansätze und Vorhaben. Dann können sie dich wahrscheinlich viel besser unterstützen!
In meiner Berufspraxis höre ich kurz vor Entlassung meist denselben Satz: „ich habe Angst, wie es zuhause wird“. Das ist völlig normal! Angst lässt sich wunderbar damit übersetzen: „ich weiß nicht, wie es zuhause werden wird“. Ein Gefühl der Sicherheit lässt sich also nur über das Erleben, wie es zuhause wird, herstellen!
Angst = etwas nicht zu wissen
Sicherheit = etwas zu wissen
Der beste Weg also, seine Angst zu überwinden, ist es, sich aktiv mit ihr zu beschäftigen. Und da die beschriebene Angst (=Nicht Wissen) ja impliziert, dass ihr nicht über das notwendige Wissen verfügt, um euch selbst die Angst zu nehmen, ist es nur logisch und konsequent, dass ihr euch mit eurem Umfeld darüber austauscht. Je mehr ihr also über eure Sorgen sprecht, desto mehr werdet ihr erfahren (Realitätsabgleiche).
Und wirklich nachhaltig lässt sich Angst übrigens dadurch beruhigen, dass ihr Sicherheit „erlebt“. Wenn ihr also im Vorfeld konkrete Angstauslösende Situationen benennen lernt (zum Beispiel: „ich habe Angst, alleine essen zu müssen“), lassen sich Situationen erst gezielt verändern und wenn ihr diese Veränderungen dann als hilfreich erlebt, spürt ihr auch reale Entlastung – das ist garantiert!
Der Weg aus der Störung wird also auch dadurch begünstigt, dass ihr eure Ängste selbst ernst nehmen lernt, diese mitteilt und über den aktiven Austausch mit anderen relativieren bzw. adressieren lernt (also Handlungsimpulse daraus ableitet).
Genesung ist ein langer und schwieriger Prozess und Rückfälle bzw. -schritte sind normal und müssen nicht zwangsläufig zu einem erneuten Ausbruch der Erkrankung führen. Demnach ist es wichtig, sich mit klassischen Stressoren auseinander zu setzen und diese im Vorfeld ernst zu nehmen (und sich mit seinem Unterstützungssystem gezielt darauf vorzubereiten!)
- An die Uni oder eine neue Schule gehen
- Umzug in eine neue Stadt oder weg von zu Hause
- Einen neuen Job anfangen
- eine Beziehung anfangen oder eine Trennung erleben
- Finanzielle Herausforderungen
- Unfruchtbarkeit oder Schwangerschaft
- Geburt eines Kindes
- Heirat oder Scheidung
- Tod eines geliebten Menschen oder Haustieres
- Diagnose einer chronischen Erkrankung
- Menopause
Jede Lebenskrise, die ein intensives Gefühl der Ohnmacht auslöst, wird in dir das Verlangen wecken, wieder auf altbekannte dysfunktionale essgestörte Verhaltensweisen zurückzugreifen. Denn im Rahmen deiner Bedürftigkeit in diesem Augenblick würdest du jeden Strohhalm greifen, um dich schnell zu entlasten. Dieser Idealisierung kannst du aktiv gedanklich begegnen, wenn du dich aktiv fragst, was dir diese Verhaltensweisen neben (scheinbarer) Sicherheit und Entlastung noch so eingebracht haben.
Und dann: sprich unbedingt mit deinem Bezugssystem. Beziehe alle mit ein.
Reden hilft.
Häufig werden Rückfälle (als Bewältigung von Krisen) von Betroffenen aus Scham oder Angst vor Reaktionen verheimlicht. Das ist in mehrfacher Hinsicht ungünstig:
- du wirst niemals die Erfahrung machen, dass dein Umfeld cool damit umgeht und dir vielleicht hilft, es zu verstehen (anstelle dir Vorwürfe zu machen)
- du selbst hast keine Chance herauszufinden, warum du es nicht verhindern konntest (Symptomanalyse)
- die Wahrscheinlichkeit weiterer Rückfälle steigt mit jedem Rückfall erheblich an, wenn dieser verheimlicht wird (Rezidiv-Gefährdung!)
Rückfälle passieren nicht einfach so – und schon gar nicht, wenn du eigentlich vorhast, die Erkrankung zu überwinden – ein Rückfall bzw. Symptomatik ist immer Zeichen für Überforderung. Also lerne, diese Rückschritte als wichtige Informationsträger zu nutzen und besprich alle umliegenden/zugehörigen Faktoren mit deinem therapeutischen Bezugssystem! (wann ist es passiert? wo? wie? welche Gedanken hattest du davor/währenddessen? was hast du versucht, um es zu verhindern?).
Auf keinen Fall in Selbstvorwürfe gehen, die nutzen dir nichts (es ist ja bereits passiert) und schaden dir stattdessen (mehr Emotionalität, mehr Schuldgefühle, mehr Selbstkritik, mehr Versagensgefühl).
Warum über Regen ärgern? Regnet ja trotzdem!
Ein weiteres Problem für Rückfälle (oder nicht erreichte Genesung) sind fehlende konkrete Zielstellungen. Dies wiederum ist dann Raum freier Interpretationen des Ist-Zustands, dem viele Diskussionen um Nichts folgen. Quasi die berühmte offene Hintertür.
Hier hilft uns die Wirtschaft weiter: denn da gilt es ja schließlich auf zack zu sein und effizient zu handeln, weswegen dort das Prinzip der s.m.a.r.t.en Ziele erfunden wurde:
SMART ist die Abkürzung für ein Kriterienraster, das an definierte Ziele angelegt wird: Ziele müssen, um erreichbar und überprüfbar zu sein, spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert sein.
- Spezifisch: Der gewünschte, in der Zieldefinition angestrebte Zustand soll genau beschrieben, die entsprechende Formulierung leicht verständlich sein.
- Messbar: Die Kriterien, anhand derer die Zielerreichung festgestellt werden kann, müssen benannt sein. Dabei kann es sich um quantitative Kriterien (Stückzahl, Euro, Zeiteinheiten …, „harte Indikatoren“) handeln oder auch um qualititive (erfolgreicher Projektabschluss, „weiche Indikatoren“).
- Attraktiv: Warum genau ist es für die Person zugeschnitten? Was ist die Motivation?
- Realistisch: Die Ziele sollten ambitioniert, jedoch unter den gegebenen Umständen erreichbar sein.
- Terminiert: Ein Termin muss festgesetzt sein, zu dem das Ziel erreicht wird.
s.m.a.r.t.e Ziele sollen zum gegebenen Termin mit der erreichten Wirklichkeit verglichen werden können, so dass klar wird, ob und in welchem Maß das Ziel erreicht wurde, und daraus der nächste Handlungsschritt entwickelt werden kann.
Hier ist natürlich neben dem klassischen Gewichtskriterium jedes beliebige Symptom erfassbar (Sport, Bewegung, Essanfälle, Erbrechen, Stimmung, Verabredungen und Sozialkontakte usw.).
Wichtig ist es dann auch, gezielte Konsequenzen zu definieren, wenn ein bestimmtes Ziel nicht erreicht wurde (stationäre Wiederaufnahme, Einschränkung zusätzlicher Bewegung/Sport, Essplananpassungen usw.).
Niemand kann irgendwas sofort. Wenn es leicht gewesen wäre, die Essstörung zu überwinden, dann hättest du es – logischerweise – schon längst getan!
Bleib also cool.
Um in irgendetwas richtig gut zu werden – meisterlich gut – bedarf es ca. 10.000 Trainingsstunden. Zehntausend. Die hattest du wahrscheinlich locker in der Entwicklung der Erkrankung – jetzt gib dir auch Zeit für die Überwindung 😉
Hilfreiche Tipps für die Zeit nach der stationären Therapie
Nach der ersten (hoffentlich auch erfolgreichen!) Stabilisierung in einem stationären Setting ist vor allem die weiterführende Versorgung das zentrale Kriterium für die langfristige Überwindung des Störungsbilds. Hier passieren (logischerweise) die meisten Fehler. So wird die Notwendigkeit ambulanter Psychotherapie oder psychologischer Beratung nicht ernst genommen oder es ergibt sich im Anschluss kein passender Behandlungsplatz. Dann werden die Empfehlungen aus dem stationären Aufenthalt nicht umgesetzt oder – viel schlimmer – es gibt keine (zum Beispiel Einhalten eines Essplans, feste Wiegetermine, Ansprechpartner:innen usw.). Hier eine erste grobe Liste, worauf es zu achten gilt:
Spätestens jetzt sollte klar sein, dass es zwar schwierig ist, von einer Essstörungserkrankung betroffen zu sein, es aber auch Möglichkeiten zur Überwindung und Behandlung gibt.
Du solltest es auf keinen Fall (wieder bzw. weiter) allein – und ohne Unterstützung – versuchen, dich mit diesem hochgradig komplizierten und komplexen Störungsbild auseinanderzusetzen.
Es ist also völlig okay und dringend empfohlen, sich ein umfassendes Unterstützungsnetzwerk aufzubauen!
Vertraue, aber prüfe nach.
Plane deine Mahlzeiten mit anderen. Nimm nichts von all dem, was du in der Klinik gelernt hast, auf die leichte Schulter.
Betroffene unterschätzen den Unterschied von einem Kliniksetting nach Hause enorm. Dabei wechselt ja eine personal-intensive und wohlwollend professionellen Umgebung hin zu einer privaten, emotionalen und unerfahrenen Umgebung.
Demnach bist du ab sofort zuständig, das Gelernte anzuwenden, anzupassen und gegebenenfalls dein Umfeld zu coachen, worauf sie achten sollten. Du kannst nicht erwarten, dass die anderen – jetzt – besser Bescheid wüssten, als du.
Hier ist m.E. die größte Gefahr, dass Betroffene ihr Umfeld „außen vor“ lassen, sodass sich essgestörte Denk- und Verhaltensweisen schnell wieder verselbständigen.
Lasst euer Umfeld helfend eingreifen, Feedback geben und euch in eurer Umsetzung eurer Eigenverantwortlichkeit unterstützen!
Halte dich immer an die Spielregeln (Absprachen). Verändere deinen Essplan oder Verhaltensweisen (Sport usw.) nur mit deinem Verstand – niemals nach Gefühl (zum Beispiel aus Angst davor, dass in der Zukunft eventuell möglicherweise vielleicht das Gewicht hochgehen könnte).
Stimme deinen Essplan mit dem Alltag ab (Schule, Arbeit, Familie), sodass sich keine Ausreden ergeben können – das kam jetzt überraschend, dann lasse ich XYZ ausfallen.
Wiege dich anfangs wöchentlich (nicht häufiger – das macht nur kirre!), reduziere den Wiegerhythmus nur in Absprache mit deinem therapeutischen Netzwerk.
Plane Verabredungen die mit Essen zu tun haben rechtzeitig (Restaurant, Familienfeiern usw.) – lass dich nicht spontan überrumpeln. Die Überwindung der Erkrankung kann nicht an solchen Events festgemacht werden (auch wenn Angehörige und Freund:innen das gern ungünstig behaupten: „du warst doch jetzt in der Klinik, warum ist das ein Problem?“)
Menschen mit Essstörungen hassen Überraschungen, das hat v.a. mit ihrem eher rigiden, sicherheitsbedürftigem Grundgerüst zu tun – sie tun sich schwer mit Veränderungen – warum also unnötig stressen? Beim Gesundwerden helfen, heißt auch, sich auf diese Besonderheiten einzustellen (und solche Events rechtzeitig anzukündigen und Betroffene aktiv miteinzubeziehen!).
Ich persönlich halte Selbsthilfegruppen zwar für einen ersten Schritt in die richtige Richtung, allerdings nur, wenn diese therapeutisch/professionell begleitet oder angeleitet sind – womit sie dann nicht mehr wirklich der Natur einer Selbsthilfegruppe entsprechen.
Dennoch: das Hauptrisiko ist, dass du nach einem stationären Aufenthalt deutlich weiter, aber möglicherweise noch immer leicht zu verunsichern bist – gerade Selbsthilfegruppen, die ausschließlich von Betroffenen selbst geführt werden, können essgestörte Ängste eher verstärken. Es kann dort nicht wirklich sichergestellt werden, auf welchem Niveau die einzelnen Teilnehmer:innen sind (gemeint ist die Schwere der Erkrankung, bzw. inwieweit die Betroffenen ihre Erkrankung wirklich als Problem einordnen anstelle sie zu verteidigen/idealisieren).
Sucht euch lieber professionelle geführte/angeleitete Unterstützung!
Gerade in den Nationen, die nicht über ein gesetzlichen Gesundheitssystem wie wir verfügen, ist die Bereitschaft, sich (professionelle) Hilfe auch im nahen Umfeld, zum Beispiel bei Freund:innen oder Verwandten, zu suchen tatsächlich höher. Hier herrscht nach wie vor eine große Tabuisierung bezüglich psychologischer/psychotherapeutischer Unterstützung.
In den USA sind derartige Hilfssysteme völlig normal und in den Alltag der Menschen integriert.
Inzwischen steigt die Anzahl der Onlineangebote (ähnlich wie essstörung24.de) auch hierzulande, was die zum Teil klägliche Abdeckung vor allem in ländlicheren Regionen kompensiert.
Eine Alternative zu diesen Angeboten stellt das soziale Netzwerk dar: oft braucht es gar keinen professionellen Rat sondern vielmehr ein offenes Ohr. Eine Möglichkeit der nachstationären Absicherung ist es also, sich eine Liste potenzieller Ansprechpartner zu erstellen (je mehr desto besser). Markiert euren BFF am besten in der Telefonliste oder packt ihn oder sie auf die Schnellwahltaste, damit er/sie im Notfall sofort erreichbar ist – stimmt das mit der Person aber vorher ab!
Da dir nach einem stationären Aufenthalt idealerweise auch klar geworden ist, dass die Erkrankung einen dysfunktionalen (also schädlichen) Umgang mit abgewehrten Gefühlen darstellt, solltest du nach dem Aufenthalt ein besonderes Augenmerk darauf legen.
Sorge in deinem Umfeld dafür, dass vor allem die Essenssituation eine emotionsarme Umgebung wird! Das heißt: keine Diskussionen beim Essen, keine gutgemeinten Ratschläge, keine Rückmeldungen … wir wollen ja, dass das Essen leichter fällt und nicht schwerer!
Richte(t) stattdessen eine Art Feedbackrunde, zum Beispiel 1x/ Woche in der Familie ein, wo gezielt Rückmeldungen gegeben und diskutiert werden können. Wichtig ist vor allem im Anschluss an diese Diskussion konkrete Handlungsideen und -veränderungen abzuleiten und als (neue) Absprachen festzulegen!
Kleiner Reminder: Ein Klinikaufenthalt ohne anschließende regelmäßige (ggfs. auch höherfrequente/häufigere) Behandlung wird sehr wahrscheinlich zum Rückfall führen.
Wenn noch nicht geschehen: Such dir professionelle Hilfe. Sollte eine ambulante Psychotherapie nicht (sofort) möglich sein, probiere Heilpraktiker:innen für Psychotherapie, Ergotherapeut:innen o.ä.
Eventuell ist das Jugendamt eine Unterstützung (Familienhilfe) oder Beratungsstellen in der Region.
Eine weitere Möglichkeit sind ambulante und v.a. essstörungsspezialisierte therapeutische Wohneinrichtungen (oder ambulant betreutes Wohnen, d.h. jemand kommt regelmäßig zu euch nach Hause).
Essstörungserkrankungen sind ja Denkstörungen bzw. Ausdruckserkrankungen. Du willst also irgendetwas wichtiges mitteilen. Sehr wahrscheinlich schwer zugängliche (weil jahrelang unterdrückte) Bedürfnisse. Du wirst nicht von heute auf morgen ein Bedürfnis-Ausdrück-Superstar. Das braucht Zeit.
Aber: Wann immer sich symptomatische Gedanken melden („ich fühle mich zu fett“; „ich fühle mich in meinem Körper nicht wohl“), solltest du lernen, aktiv und absichtlich, tiefer zu graben.
Frage dich stattdessen: „okay, womit fühle ich mich gerade nicht wohl“ (Analyse der Situation, der Beziehung, der gerade relevanten Gedanken). Mach dir notfalls Notizen und besprich das später mit deinem therapeutischen Bezugssystem (oder Freunden/Familie).
Da dieses Störungsbild mit intensiven Scham- und Schuldgefühlen einhergeht, fällt es Betroffenen oft sehr schwer, sich etwas positives zu erlauben. Dies ist aber gerade noch einem stationären Aufenthalt wichtig. Wenn es dir noch schwer fällt, dir etwas Gutes zu tun, dann ist das normal! Mache also kleine Schritte (zum Beispiel Frisör) und besprich dich mit deinem therapeutischen Bezugssystem. Achtung, das soziale Umfeld wird sich wahrscheinlich schwer tun, dich zu verstehen – lass dich nicht zu „Gutem“ bedrängen und reagiere nicht verärgert sondern bestimmt („ich brauche dafür noch Zeit“).
Oft ist die Essstörungserkrankung auch ein Schutz, um Menschen (oder Verantwortung) auf Distanz zu halten.
Gerade die wichtigste Grundfähigkeit: Das Durchsetzen der eigenen Bedürfnisse und das Setzen der eigenen Grenzen (Boundaries im englischen) ist einerseits zentrales Element der Überwindung (Wehrhaftigkeit/Selbstbehauptung) andererseits aber mit am schwersten, da gerade das Umfeld oft nicht unerheblichen Einfluss darauf hat (Beziehungsdynamiken). So wird in der Therapie oft das NEIN gelehrt – nicht aber der Umgang mit der möglicherweise nicht begeisterten Reaktion des Gegenübers. Denn oft erlebt das soziale Umfeld deine Abgrenzung erst einmal als befremdlich – schließlich nimmst du ihnen ja (vermeintlich!) etwas weg, was es vorher immer gab.
Nur weil es sich am Anfang ungewöhnlich und vielleicht sogar falsch anfühlt, bedarf es oft nur Übung und wiederholter Anwendung, damit du immer besser darin werden kannst, dich für dich einzusetzen und stark zu machen!
Du bist der wichtigste Mensch in deinem Leben.
Und das ist gar nicht so leicht zu trainieren – neben all den anderen wichtigen Aufgaben (Essplan einhalten, Bewegungsverhalten kritisch steuern, Resozialisierung, Rückkehr in den Alltag usw.). Also unterschätze das nicht!
Während der Höhepunkte der Erkrankung gab es wahrscheinlich viele fiese Konflikte und Streitereien. Womöglich bestand der Kontakt zu engen Freund:innen, der Familie und Bekannten nur noch darin, über Störung zu reden.
Du kannst im erheblichen Maße dazu beitragen, dass sich dein Umfeld (wieder) mehr entspannt, indem du sie sowohl über Probleme und Komplikationen offen und transparent informierst aber eben auch über positive Erfahrungen und Erlebnisse.
Win – Win! Denn einerseits kannst du damit untermauern, dass du auf dem Weg bist, die Erkrankung in den Griff zu bekommen und dein Umfeld wird dir wahrscheinlich immer mehr zutrauen! (Trotz wahrscheinlich weiterhin ebenfalls bestehender Schwierigkeiten – was völlig normal ist!)
Auch wenn es dir vielleicht aufgrund verschiedener Ängste und deiner Selbstwertstörung noch schwer fällt: Verabrede dich! So viel wie möglich!
Aber nie über deine Grenzen hinaus – es macht keinen Sinn, sich (wieder) für andere zu erschöpfen!
Die allerwenigsten leben ihre Essstörungssymptomatik im Beisein anderer aus. Demnach ist deine Geselligkeit auch für dich selbst immer ein gutes Indiz, ob du wieder in alte essgestörte Denk- und Verhaltensmuster verfällst.
Geselligkeit schützt! Also sei nicht Gollum, der über seinem Ring hängt, sondern geh da raus und lerne die Menschen in deinem Umfeld besser kennen, tausche dich aktiv aus – denn all das wird dir dabei helfen, eigene Überzeugungen und Ängste aufzulockern und zu relativieren.
Der aktive Austausch mit anderen (v.a. Gleichaltrigen) ist ein weiteres wichtiges Kriterium für die Überwindung der Erkrankung!
Da das Überwinden der Essstörungserkrankung gerade am Anfang extrem schwer und anstrengend sein kann, ist es umso wichtiger, dass du dich (wieder) mit Dingen beschäftigst, die sich gut anfühlen.
Das kann kreatives Arbeiten sein, Musizieren, Singen, Gedichte schreiben oder ehrenamtliches Arbeiten. Es gibt kein Richtig oder Falsch an der Stelle. Finde etwas, was dir allein das Gefühl vermitteln kann (nicht muss!), dass du es gern machst.
Das hilft übrigens auch gegen Perfektionismus 😉
Die Essstörung zu überwinden ist alles.
Nur nicht einfach.
Kontakt und Terminbuchung
Wir beraten Dich gerne:
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